03.05.2023
Komplexe Adaptive Systeme: Sechs Implikationen für Management und Führungskultur
Erfahren Sie, was zu einem modernen Führungsstil dazugehört, um die Innovationsfähigkeit Ihrer Organisation zu stärken.
Dieser zweite Teil geht der Frage nach, welche Schlüsse daraus für Management und Führungskultur gezogen werden können. Im ersten Teil dieses Blogbeitrags haben Sie erfahren, was komplexe adaptive Systeme sind und wie sie auf Unternehmensstrukturen angewandt werden können.
Dieser zweite Teil geht der Frage nach, welche Schlüsse daraus für Management und Führungskultur gezogen werden können. Im ersten Teil dieses Blogbeitrags haben Sie erfahren, was komplexe adaptive Systeme sind und wie sie auf Unternehmensstrukturen angewandt werden können.
Mindestanforderung statt Micromanagement
Die Tendenz bei der Umsetzung von Zielen und dem Aufstellen von Regeln im Management ist häufig detailliert zu spezifizieren, was auf allen Ebenen der Organisation zu tun ist. Beispiele für solche detaillierten Spezifikationen sind die Standards und Richtlinien bis hinunter zu kleinteiligen Verfahrensanweisungen. Mindestanforderungen dagegen lassen Raum für Kreativität und Innovation. Sie regen zur Diskussion an, aus der eine Verbundenheit mit erreichten Zielen entstehen kann. Dieses wiederum erleichtert das Teilen gemeinsamer Ansichten und erhöht den Grad an Zustimmung.
Konkret konnte dies durch Vision- und Mission-Workshops bei unseren Handelskunden erreicht werden. Die dabei erarbeiteten Claims sind gut genug, um für die Scrum-Teams richtungsweisend zu sein, aber flexibel genug, sodass diese angepasst werden können, wenn sich der Kontext, in den ein Team eingebettet ist, ändert. Es ist eine Führungsaufgabe, Claims nicht als hübsches Blendwerk zu verwenden, sondern als strategisches Werkzeug und Priorisierungsmaßstab einzusetzen.
Fördern von Selbstorganisation und einer ganzheitlichen Sicht auf die Organisation
Eine Schlüsselaufgabe für innovative Führung ist die Schaffung der richtigen Umgebung in der Selbstorganisation gedeiht. Die Prämisse ist, Interaktionen innerhalb einer Organisation über Einzelaktionen zu stellen, interdisziplinäre Teamarbeit zu erleichtern und Partnerschaften und kooperative Arbeitsweisen zu fördern. Eine solche Arbeitsweise lässt produktive und generative Beziehungen entstehen. Eine solche Organisation ist besser auf Veränderungen vorbereitet und kann diese leichter abfedern als eine starre Hierarchie. Wächst eine solche Organisation, so kann diese schneller und organischer skalieren, da weniger administrative Prozesse notwendig sind.
Führungskräfte und Manager müssen also zunehmend eine systemweite Perspektive einnehmen und die Interaktionen der Organisationsbestandteile im Blick behalten. Konkret geht es bei unserem Handelskunden darum, die durch die agile Transformation lediglich umformierten Experten-Silos erneut aufzubrechen. Es geht auch darum, sinnvolle Interaktionsformen zwischen Teams oder entlang von Prozessketten zuzulassen und diesen Legitimität zu verleihen. So wurden z.B. Squads mit festen und rollierenden Teammitgliedern für die bessere Abarbeitung von Supportprozessen, aber auch für die gemeinsame Arbeit an Innovationsthemen gebildet.
Förderung von Vielfalt und Kreativität
Variation und Vielfalt sind ein Kernmerkmal jedes komplexen sich entwickelnden Systems. Die Bedeutung der Biodiversität für unseren Planeten oder kultureller Vielfalt in der Gesellschaft wird heutzutage akzeptiert. Die Anfälligkeit von Monokulturen in der Landwirtschaft gegenüber Veränderungen wie z.B. Schädlingsbefall ist hinlänglich bekannt. Warum sollte das nicht auch für große Organisationen gelten?
Standards sind – wie schon gesagt – wünschenswert, wenn es um Mindeststandards geht. Ausgehend davon, dass eine Organisation grundsätzlich imperfekt und uneinheitlich ist sowie sich kontinuierlich verbessern möchte (Scrum), lohnt es sich, Vielfalt und Kreativität zu fördern, statt den Fokus auf organisationsweite Einheitlichkeit zu legen. Jeder kennt die repulsive Macht, welche ein zementierter Status Quo von Sicherheits- oder Datenschutzrichtlinien ausstrahlt, wenn es um Veränderungen an oder mit diesen häufig als Stabsstellen ausgeprägten innerbetrieblichen Teilorganisationen geht. Standards und Richtlinien fördern zwar Einheitlichkeit, was in großen IT-Landschaften durchaus Vorteile birgt, schwächen aber die Organisation, indem sie unflexibel gegenüber kontextbedingten Veränderungen sind. Bei meiner Arbeit in vielen Konzernen, habe ich erlebt, wie viel kreatives Potenzial liegen bleibt, weil der Mut, der Wille oder die Kraft fehlt, diese in Einklang mit bestehenden betrieblichen Regularien zu bringen. Dieses führt bei den Mitarbeitern langfristig zu Demotivation und Resignation bis hin zu einer stillen Kündigung.
Die Aufgabe von Führung ist hier neben der Förderung von Vielfalt und Kreativität, aktiv die Schattenorganisation in ihre Überlegungen mit einzubeziehen, da dort die genannten Eigenschaften zu finden sind. Es geht darum, formelle und informelle Kommunikation über das richtige Maß an Einfluss, Transparenz und Interaktion in Einklang zu bringen. Dieser Aspekt von Führung kostet Zeit, ist aber unablässig, um Vertrauen und ein echtes Commitment der Mitarbeiter zu erzeugen. Es geht bewusst nicht um schnelles, formelles Commitment, welches gerne auf informeller Ebene wieder in Frage gestellt wird (Dr. Peter Kruse, 8 Regeln für den totalen Stillstand in Unternehmen), sondern um das gemeinsame Definieren sinnvoller Ziele und eine Verbundenheit mit dem Erreichten. Eine Hauptaufgabe von Führung zur Herstellung echten Commitments ist dabei unbequeme „Warum-Fragen“ zu stellen und die Elefanten im Raum zu adressieren. Warum tun wir das? Warum tun wir es genau so? Warum tun wir das noch so und so lange?
Die Anziehungskraft von Veränderung nutzen anstatt Widerstand bekämpfen
Aus den bereits genannten Implikationen ergibt sich ein emergentes Verhalten der Organisation, was nicht aus den Mindestanforderungen, Leitsätzen und Regeln selbst vorhersehbar ist. Wenn sich in Organisationen plötzlich Widerstand gegen neue Lösungen oder Prozesse regt, ist es Usus diese Widerstände zu bekämpfen oder durch freundlich formulierte Hilfestellungen zu überwinden. In CAS existieren immer Attraktoren, gegen welche ein System mit seinem emergenten Verhalten strebt. Folglich obliegt es der Führungs- und Managementkunst, solche Attraktoren im System zu finden und zu nutzen und zu ergründen, welche Schrauben man lockern oder anziehen muss, um ein Attraktor-Muster zu einem wünschenswerteren Muster zu machen. Ein Beispiel für eine solche kontrollierte Parameteränderung kann z.B. die Schaffung finanzieller oder karrieretechnischer Anreize für ein spezifisches Verhalten sein, wie z.B. der Besuch von Innovations- oder Führungstrainings, um ein größeres Interesse in diesem Gebiet zu erzeugen und die Wissensbasis um solche Methoden in der Organisation auf breitere Schultern zu verteilen.
Quelle: Exploring the science of complexity series (part 16): Concept 7 – Strange attractors and the ‘edge of chaos’ von Ben Ramalingam and Harry Jones with Toussaint Reba and John Young
Lebenslanges Lernen als Fähigkeit
Berufliche Bildung konzentriert sich derzeit auf den Erwerb spezifischer Kompetenzen. Das Ausmaß, in dem Mitarbeiter sich anpassen können, neues Wissen aufzunehmen und parallel fortgesetzte Leistung in einem wechselnden Kontext zu zeigen, ist heute wichtiger denn je. Dies umfasst ein Engagement für lebenslanges Lernen insbesondere auch auf Führungsebenen, wo sich ebenfalls Führungsstile anpassen müssen. Gerade auf Führungsebene besteht auch bei unseren Kunden ein erhöhter Handlungsbedarf, um die agile Transformation und wertegestützte Führungskultur nachhaltig auf allen Ebenen des Managements zu verankern.
Wertegestützte Führung
Werte sind tief verwurzelte Ansichten, die als Leitprinzipien für Einzelpersonen und Organisationen dienen. Wenn diese erklärt und befolgt werden, bilden sie die Basis des beruflichen Vertrauens. Wenn sie unausgesprochen bleiben, werden sie in der Regel trotzdem aus beobachtbarem Verhalten abgeleitet. Wenn sie ausgesprochen und nicht befolgt werden, wird – wenn auch unbeabsichtigt – Vertrauen gebrochen. Ein wesentlicher Bestandteil jedes Werteansatzes für Führung und Management ist die klare und explizite Artikulation von Werten, die Handlungen im Organisationssystem untermauern. Es ist – wie schon in agilen Methoden – von zentraler Bedeutung, dass Werte möglichst von allen geteilt werden, die an Veränderungsprozessen beteiligt sind. Auch unser Handelskunde ist sich dessen bewusst und setzt agile Coaches seit einiger Zeit auch auf höheren Managementpositionen ein.
Wrap-up
In einem komplexen System wie einer Organisation kann Führung auf allen Ebenen hilfreich sein, insbesondere dann, wenn sich diese sich in Richtung einer flexibleren und komplexen Organisation entwickelt, in der es viele offizielle Beziehungsgeflechte und interaktive Netzwerke gibt. Es gibt viele Überbleibsel klassischer Hierarchiesysteme, Top-Down-Denken und Kommandostil im Management. Dieses trifft auch auf unseren Handelskunden zu, wo die agile Transformation in den ausführenden Einheiten begonnen wurde und im Management teilweise noch alte Kommandostrukturen und Seilschaften erhalten bleiben. Gerne werden an dieser Stelle Insektenstaaten als Beispiel aus der Natur angeführt, um noch existierende hierarchische Strukturen in Unternehmen zu rechtfertigen. Dabei sind gerade solche die perfekten Beispiele dafür, dass keinerlei Hierarchien mit Befehlsgebern und -empfängern existieren, sondern Arbeitsabläufe, Aufgaben und Spezialisierungen kontextgerecht und temporär auf Basis von Umwelteinflüssen per Selbstorganisation entstehen und vergehen. Die Erkenntnisse aus komplexen adaptiven Systemen, als Spiegel der Natur, sollten dazu anregen, über Führungsstile nachzudenken und Angebote zu schaffen, die in einer sich schnell ändernden Welt echte Führung anbieten. Zu einem modernen Führungsstil, welcher die Innovationsfähigkeit der Organisation stärkt, gehört also interdisziplinäre Interaktionen, Netzwerke sowie deren Diversität und Kreativität zu fördern, Micromanagement abzulegen und stattdessen positive Verstärker und Motoren von Veränderungsprozessen zu aktivieren. Lebenslanges Lernen und Werte klar zu artikulieren und vorzuleben ist dabei unverzichtbar.
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